11. Nov 2024
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Makroausblick
Staatsschuldenproblematik: Vom Nebenschauplatz zum Marktfokus?
Entscheidungsrelevante Einblicke für Investoren
Die Tatsache, dass der US-Dollar seit Beginn des Zinssenkungszyklus der US-Notenbank (Fed) aufgewertet hat, stellt viele Anleger vor ein Rätsel. Größtenteils erklären lässt sich dies zwar durch den deutlichen Anstieg der US-Anleiherenditen seit dem überraschenden Zinsschritt im September und dem anhaltenden außergewöhnlichen US-Wachstum – es zeigt jedoch auch, dass die besorgniserregende Lage der Staatsfinanzen zunehmend in den Fokus der Anleger gerückt ist.
Steigende Haushaltsdefizite
Der Internationale Währungsfonds (IWF) sieht die Weltwirtschaft an einem „strategischen Scheidepunkt“. Er prognostiziert, dass die weltweite Staatsverschuldung in diesem Jahr die Marke von 100 Billionen US-Dollar überschreiten und bis 2030 auf 100 % des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) ansteigen wird. Nahezu jede größere Volkswirtschaft wird mit steigenden Schuldenlasten konfrontiert sein und sich vor schwierige Entscheidungen gestellt sehen. Das wiederum könnte zu einer höheren Marktvolatilität und höheren Kapitalkosten führen. Durch die ausufernden Kosten des Schuldendienstes könnte sich der Spielraum für Ermessensausgaben noch weiter verkleinern.
Ein Grund für den Anstieg der US-Anleiherenditen ab Mitte September sind Sorgen über eine anhaltend lockere Fiskalpolitik mit steigenden Haushaltsdefiziten, unabhängig vom Ausgang der US-Wahlen im November. Trotz einer relativ starken Wirtschaft ist die Haushaltslücke bereits gestiegen und die Kosten für den Schuldendienst liegen mittlerweile bei 3,1 % des BIP. Vor diesem Hintergrund verlangen die Anleger eine höhere Vergütung für das Risiko, das mit dem Halten von langfristigen US-Staatsanleihen (Treasuries) verbunden ist. Dadurch ist die Laufzeitprämie* für zehnjährige Treasuries nach fast einem Jahrzehnt im negativen Bereich über Null gestiegen.
Sehr deutlich zeigten sich die Sorgen der Märkte über die Fiskalpolitik auch im Ausverkauf britischer Staatsanleihen (Gilts), als klar wurde, dass die Anpassung der Schuldenregel der neuen Labour-Regierung nicht zu einem nennenswert größeren finanziellen Spielraum verhelfen wird. Anstatt in wachstumsfördernde Investitionsausgaben zu fließen, wird die höhere Kreditaufnahme dazu dienen, höhere laufende Ausgaben zu decken. Der anschließende Anstieg der Gilt-Renditen hat den haushaltspolitischen Spielraum der britischen Regierung weiter reduziert. Durch die Kombination einer klaffenden Haushaltslücke mit zu optimistischen Wachstumsprognosen besteht zudem ein größeres Risiko zusätzlicher Steuererhöhungen im Frühjahr.
Die fiskalpolitischen Herausforderungen der europäischen Volkswirtschaften beschäftigen die Finanzmärkte schon länger. Französische Staatsanleihen gerieten bereits Anfang dieses Jahres unter Druck, als der Haushaltsentwurf die schwierige finanzielle Lage der Regierung bestätigte. Prognosen zufolge wird Frankreichs Haushaltsdefizit (im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung) in diesem Jahr auf über 6% ansteigen und bis ins nächste Jahr hinein hoch bleiben. Ein Haushaltsloch von 60 Milliarden Euro muss durch Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen geschlossen werden. Die Skepsis der Märkte, ob dies gelingt, zeigt sich in der Risikoprämie für französische Staatsanleihen gegenüber deutschen Bundesanleihen, die so hoch ist wie zuletzt 2012. Diese Dynamik bestärkt uns in unserer strukturellen Untergewichtung französischer Staatsanleihen.
In Deutschland dürften diverse zyklische und strukturelle Belastungsfaktoren die Wirtschaft trotz einer überraschenden Erholung im dritten Quartal weiter ausbremsen. Die Unsicherheit über die hohen Energiekosten, Handelsspannungen und Inflation spiegelt sich in einem anhaltend gedämpften Konsumklima wider. Auch der Arbeitsmarkt schwächelt, da geplante Stellenkürzungen oder Produktionsverlagerungen ins Ausland die Stimmung belasten. Zusammen mit der herausfordernden demografischen Dynamik einer alternden Bevölkerung und strukturellen Wachstumshemmnissen dürfte dies weitere Konjunkturhilfen erforderlich machen.
Umfangreiche fiskalische Stimulusmaßnahmen gibt es auch in China, wo sich die Regierung bemüht, die angeschlagene Wirtschaft wiederzubeleben. Der IWF warnt, dass das Land aufgrund der steigenden Staatsverschuldung und angespannten Finanzlage vor erheblichen fiskalpolitischen Herausforderungen steht, die weltweite Auswirkungen haben werden. Auch wenn dies kein unmittelbares Risiko darstellt, werden strukturelle Finanzreformen zur Förderung des langfristigen Wachstums der chinesischen Wirtschaft erforderlich sein, um das Anlegervertrauen zu stärken.
Welche Auswirkungen hat die Staatsschuldenproblematik auf Anlageportfolios?
Der IWF betont, dass eine Stabilisierung der Staatsverschuldung weitaus größere fiskalische Anpassungen erfordern wird als derzeit geplant. Zudem würden die Prognosen die Schuldenquote drei Jahre in der Zukunft tendenziell um durchschnittlich 6 Prozentpunkte unterschätzen. Auch namhafte Investoren warnen vor den Risiken durch eine „waghalsige“ oder „ausnahmslos inflationär wirkende“ Fiskalpolitik. Politische Entscheidungsträger äußern schon seit Langem Bedenken hinsichtlich der Tragfähigkeit der Staatsverschuldung. In der Vergangenheit hat eine derartige Gemengelage den Dollar in aller Regel geschwächt. Die deutliche Dollar-Abwertung Mitte der 2000er zum Beispiel wurde auf Sorgen über Zwillingsdefizite (Haushalts- und Leistungsbilanzdefizite) zurückgeführt. Allerdings spielte hier sicherlich auch der ausgedehnte Bullenmarkt für Anleihen eine Rolle.
Theoretisch könnten unhaltbare Defizite eine Dollarkrise auslösen, die die Inflation anheizt und die Anleiherenditen in die Höhe treibt, wobei die Währung als Ventil dient, um den Druck zu verringern. Die unangefochtene Größe und Liquidität des US-Anleihemarktes untermauert jedoch den Sonderstatus des US-Dollars und seine Wahrnehmung als sicherer Hafen für Anleger. Investoren außerhalb der USA kaufen weiterhin US-Staatsanleihen auf. Während einige Käufer, wie China, ihre Dollarbestände in diesem Jahr verringert haben, ist die Nachfrage aus anderen Ländern konstant (z. B. Japan) oder gestiegen (z. B. Großbritannien).
In einem Umfeld weltweit steigender Schuldenlasten sind eine breite Diversifizierung, ein gutes Risikomanagement und eine Konzentration auf Qualitätsanlagen entscheidend für den Anlageerfolg. Die Zeit der Sparpolitik wird kommen. Unterdessen können langfristig orientierte Anleger auf hochwertige Vermögenswerte setzen, von der Tiefe der US-Kreditmärkte profitieren und durch selektive weltweite Investitionen ihr Risiko mindern.
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*Auf Basis der Laufzeitprämie 10-jähriger US-Staatsanleihen nach Adrian Crump & Moench